AKTUELLES / BERICHT DES KREISVORSITZENDEN ZUR EUROPAPOLITISCHEN SITUATION (22.03.2006)
In den letzten drei Jahren des Berichtszeitraums ist die Europapolitik aus unserer Sicht von drei wesentlichen Ereignissen geprägt worden: - den Europawahlen und - leider - - dem Scheitern des Verfassungsvertrags. Getrübt wurden der Beitrittsprozess durch das Referendum in Zypern, wo sich 65% des „türkischen“ Teils für, aber 75,8 % des „griechischen“ Teils gegen eine Wiedervereinigung stimmten, wodurch faktisch nur im Süden der Insel das EU Recht angewandt wird, während der Norden „nur“ mit EU Finanzhilfen unterstützt wird. Die Erweiterung war und ist für Deutschland sowohl Chance als auch Risiko. Wenn auch die negativen Auswirkungen bestimmter Industriearbeitsplatzabwanderungen oder grenznaher Mittelstandskonkurrenz vor allem nach Ende der Übergangsfristen weiterhin höchste politische Anstrengungen erfordern, dürfte Deutschland dennoch durch die großen und wachsenden Märkte in der größten Erweiterung der EU Geschichte langfristig von dieser profitieren! Obwohl die gerade stattgefundene Osterweiterung (s. oben) und das in den Vordergrund gehobene Wahlkampfthema Türkei-Beitritt eigentlich genügend Zündstoff geboten hätte, haben es die politischen Parteien unterlassen, die Wähler ausreichend anzusprechen, sondern lediglich ihre Kassen aus den „Wahlkampfmittelerstattungen“ gefüllt. So war allenthalben ein Rückgang der Wahlbeteiligung festzustellen, besonders in der Fläche (Bayern -5,2%) und bei uns in der Grenzregion, wo mit 33 % ein absoluter Tiefpunkt erreicht wurde. Dies müsste den politisch Verantwortlichen eigentlich zu denken geben. Jedenfalls ist Europa nicht so schlecht wie diese Wahlergebnisse! Die notwendigen Ratifizierungen in den einzelnen Mitgliedsländern ließ sich im Winter 2004/2005 noch recht vielversprechend an, als zunächst Litauen, dann Ungarn, Slowenien, Spanien, das erste Gründungsmitglied Italien, Griechenland, die Slowakei,und mit Mühen Belgien, und Anfang Mai 2005 Österreich und am 12. bzw. 27. Mai der deutsche Bundestag mit 95,8 % (!) und der Bundesrat mit 66 von 69 Stimmen zustimmten. Die bereits mit Spannung erwartete französische Volksabstimmung am 29. Mai 2005 brachte dann tatsächlich die befürchtete Ablehnung des Vertrages mit 54,8 % (Wahlbeteiligung ca.70%) . Nur drei Tage später, am 1. Juni, der nächste Schock: auch die Wähler in den Niederlanden stimmten mit 61,6 % bei fast 63 % Beteiligung in einer freiwilligen Volksbefragung gegen den Verfassungsvertrag! Mit diesen deutlichen Abstimmungsniederlagen in zwei großen und alten Mittgliedsländern ist der Ratifizierungsprozess zum Stillstand gekommen, auch wenn noch vier kleinere Länder (Lettland, Zypern, Malta und Luxemburg) im Juni und Juli 2005 ihre Zustimmung beschlossen haben, da immerhin noch neun weitere Staaten ausstehen, die die Ratifizierung ausgesetzt haben (ebenso wie Deutschland die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten wegen der ausstehenden Verfassungsgerichtsentscheidung). Der EUGipfel im Juni 2005 hat daraufhin eine einjährige „Denkpause“ beschlossen und damit die Ratifizierungsfrist bis Mitte 2007 verlängert. Hieraus spricht gewiss ein starkes Maß an Ratlosigkeit und verunsichert die Menschen, die Bürger Europas, zusätzlich! Nach unserer Überzeugung ist der Verfassungsvertrag nicht gescheitert, weil die Menschen nein zu Europa sagen wollten, sondern weil ihnen seine Inhalte viel zu wenig erklärt worden sind. Gerade der Verfassungsvertrag hätte viele wichtige und notwendige Reformen für das erweiterte Europa beeinhaltet (z.B. die Stärkung des Parlaments, die Transparenz der Ratsentscheidungen, die Festschreibung des Susidiaritätsprinzips). Mit seiner Umsetzung und seiner Fortentwicklung hätten zahlreiche Ängste der Menschen vor überbordender Bürokratie, nicht mehr bezahlbarem Finanzbedarf usw. gemindert werden können. Das momentane Scheitern muss als Warnung vor nationalen und politischen Egoismen verstanden, aber auch als Chance gesehen werden, den Bürger besser einzubinden und seine Fragen und Interessen ernster zu nehmen. Dann lässt sich ein Neuanfang der Europapolitik erreichen mit einer Konzentration auf das Wesentliche und eine Umwandlung von „Europaferne“ in „Europa-, d.h. Bürgernähe“. Denn eines gilt nach wie vor: „Zu einem geeinten Europa gibt es keine Alternative!“ |